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Wie aus bunten Bildchen ein Vehikel des virtuellen Kapitalismus werden kann.
Die Idee von Avataren ist so alt wie das Internet. Avatare aller Couleur bilden seit Jahrzehnten die fiktive Außenhaut für User:innen und sind digitale Schutzschilder und visuelle Ausdrucksform zugleich. Das Avatare aber nicht nur schöne bunte Bildchen oder Figuren sein können, sondern dieser Tage zum Vehikel für virtuellen Kapitalismus genutzt werden, das möchte ich in diesem Artikel halbnüchtern erörtern.
Das Konzept, mit Avataren Geld zu verdien, hat die Gaming-Industrie schon lange für sich entdeckt. Champions, Skins, Items als InGame-Käufe gehören zur Geschäftsgrundlage von Online-Gaming Titeln. Ich möchte verbesserte Funktionalität oder ein individuelles Erscheinungsbild? Geld eintauschen und ab dafür. Gehandelt werden dabei Nullen und Einsen. Also digitale Güter, die im Gaming Kontext Funktionen freisetzen können oder die Visualität eines Gaming-Characters verändern oder ergänzen können. Wer das Geld hat, hat die Macht schneller, besser oder stylischer zu werden. Also eigentlich alles wie im echten Leben. Nur eben digital.
Und in dem Moment, in dem die Worte digital, Geld und Macht auf dem Tisch liegen, sind spitzfindige Kapitalisten nicht weit und fangen an, kreativ zu werden. Vor allem dann, wenn das Momentum der vermeintlichen Disruption auf der Straße liegt und eine neue Ära ausgerufen wird. Das Web3 als Einfallstor und Vorwand neuer Umsatzquellen mit einer Marge, die sogar in Bangladesh hergestellte Masken nicht erreichen können.
Und spätestens jetzt komme ich um das M Wort nicht mehr herum.
Und spätestens jetzt komme ich um das M Wort nicht mehr herum. Das Buzzword des Jahrzehnts und der Umbrella-Term der Neuzeit. Die Rede ist natürlich vom Metaverse. Man nehme ein paar unpräzise definierte Zutaten wie NFTs, Web3, Community, Creator:innen und Blockchain, garniert diese mit einem existierenden Geschäftsmodell und längst etablierten, aber sehr abgespeckten virtuellen Gaming Welten, zitiert ein Buch aus den 90zigern, pudert noch ein wenig Solicialising on Top, und fertig ist die Geld- und Marketingmaschine Metaverse. Gefundenes Fressen für jedes Innovation-Lab und PR-Abteilung. Aber vor allem ein potentieller Umsatztreiber für Fashion und Lifestyle Produkte. Denn was haben wir von den Gaming Studios gelernt? Richtig, wer stylisch sein will, muss zahlen. Und was liegt da näher, als die eigenen Produkte zu digitalisieren, zu abstrahieren und zu emotionalisieren.
Und beim Stichwort emotionalisieren kommen wir direkt ins Hier und Jetzt. Denn aktuell befinden wir uns in der Emotionalisierungs-Phase. Virtuelle Welten, Avatare und digitale Güter werden derzeit so aufgeladen und gepusht, dass sowohl User:innen, als auch Unternehmen und Marken das Gefühl bekommen, dass dieser Kelch auf gar keinen fall vorbeiziehen darf.
Doch die Vermittlung abstrakter und komplexer digitaler Welten und Prozesse ist mitunter kompliziert. Außerdem fehlt häufig der Bezug zur Realität, um den Kern der Idee greifen und verkaufen zu können. Deshalb braucht es ein verbindendes Glied, um die Pole zu verschmelzen. Etwas visuelles und erlebbares. Wie wäre es mit Avataren? Schließlich sind sie es ja auch später, die sich in den Welten aufhalten und ausstatten sollen. Ausstatten mit all den blockchainigen Fashion- oder Lifestyle Items, die das virtuelle Ich in nie dagewesener Form präsentieren können. Häufig ist im Zusammenhang mit Avataren die Rede von grenzenloser Freiheit in der Selbstentfaltung und dem Ablegen von Ängsten und Nöten, mit denen Menschen im realen Leben konfrontiert sind. "Own Your Look" ist ein Claim von readyplayer.me - Einer Plattform, auf der jeder einen eigenen Avatar erstellen und plattformübergreifend einsetzen kann.
Aber neben dem Claim darf der Zusatz "Buy limited NFTs for your avatar. Trade or sell them on a marketplace of your choice." nicht fehlen. Denn der eigene Look hat seinen Preis, wie im echten Leben. Nur ohne reellen Gegenwert und sehr geringen Herstellungskosten.
Own Your Look.
Aber damit die Emotionalisierung und damit die Kommerzialisierung gelingt, müssen die Avatare und "das Metaversum" im Mainstream ankommen. Der Zugang muss vereinfacht werden. Deshalb sprießen überall Avatar-Builder aus dem Boden.
Video Source: https://readyplayer.me/
Teilweise direkt von Marken (adidas OZWORLD). Teilweise von den Plattformbetreibern oder Drittanbietern (readyplayer.me). Aber immer mit dem Ziel, die erstellten Avatare bzw. die Menschen dahinter, als Käufer:innen im "Metaverse" zu etablieren. Wie im Gaming-Kontext. Nur mit Items, die nicht ein mal eine verbesserte Funktionalität mit sich bringen, sondern erst mal nur 3D/Pixel Assets mit Marken- oder Creatorbezug sind. Mal von mehr, mal von weniger kreativen Artists erstellt. Oder gar von vermeidlichen KIs.
Mein persönlicher OZWORLD adidas Avatar.
Doch die wirtschaftlichen Absichten werden gekonnt dadurch verdeckt, dass immer die Rede von Creator:innen ist. Also jenen Menschen, die künftig im besten Fall davon leben können, andere Leute im "Metaverse" auszustatten, mit ihren selbsterstellten Assets und Fashion Items. Oder anderen digitalen Gütern.
Letztlich übernehmen diese Creator:innen auf den kapitalistisch motivierten Metaverse-Plattformen aber exakt die Aufgabe, die auch Creator:innen auf klassischen Social Media Plattformen übernehmen. Sie sorgen für Content und für Engagement und bilden so die Grundlage für ein werbliches Umfeld. Vor allem übernehmen sie aber Pionierarbeit. Pionierarbeit, die Marken und Unternehmen für sich und ihre digitalen Güter nutzen können. Der wahre Community-Gedanke wird so gekonnt umschifft. Außerdem sind Plattformen, die von vornherein darauf ausgelegt sind, dass die User:innen angehalten sind, Geld auszugeben, nicht sonderlich gesellschaftstauglich, weil sie diejenigen ausschließen, die dafür kein Geld übrig haben. Und, weil darunter viel zu sehr die Qualität und das Entertainment leidet. Viele Plattformen oder virtuelle Welten strotzen heute von NFTs und Abverkauf-Möglichkeiten, aber wirkliche Erlebnisse und virtuelles Storytelling sucht man vergebens. Da bringt dann auch der stilsicherste Avatar keine Besserung.
FAZIT
Nun sind Avatare weder ein notwendiges Übel, noch eine zu verachtende Spezies. Sie sind einfach da und sollten es auch immer bleiben. In allen Farben und Formen. Mal abstrakt oder unsichtbar, mal bunt und laut oder irgendwann auch photorealistisch. Und je mehr Zeit wird perspektivisch in welchen virtuellen Welten auch immer verbringen werden, desto präsenter mögen auch unsere Avatare werden. Wenn wir das wollen. Aber eine neue Ära, die eigentlich für Transparenz, Open Source und Denzentralität stehen soll, direkt durch äußere, kapitalistische Faktoren bestimmen zu lassen, und Avatare dafür zu missbrauchen, sollten wir nicht zu lassen.
Es wird sehr viele neue Erlösmodelle in Zukunft und im virtuellen Raum geben. Aber der Verkauf von virtuellen Gütern, die keinen Mehrwert und Nutzen für die Gemeinschaft bringen, sondern nur aus duplizierbaren Assets/Pixeln bestehen, sollte nicht die Grundlage sein. Creator:innen sollen für kreative Arbeit und Storytelling belohnt werden und nicht durch falsche Anreize frühzeitig versaut werden. Sonst ist auch das "Metaverse" schnell so homogen und gleichgeschaltet, wie es Social Media Plattformen seit Jahren sind. Und das müssen wir mit aller Macht verhindern, um wirklich als Gemeinschaft von einer neuen Ära, dem Metaverse (in welcher Form auch immer) und Web3 sprechen und profitieren zu können.
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