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Ciao Adobe!

Updated: Apr 8, 2021

Wenn das Geweih eines Platzhirschens zu bröseln beginnt.



Zugegeben, die Headline ist sehr reißerisch formuliert. Und ich möchte aus vielen Gründen auch nicht den Abgesang auf Adobe einstimmen. Aber ein für lange Zeit nie gedachtes Szenario manifestiert sich bei mir zunehmend. Das Szenario sieht vor, dass Adobe auf dem besten Weg ist, seine exponierte Weltmarktstellung und Bedeutung als kreatives Allzwecktool zu verlieren. Ich möchte hier noch nicht vom Kodak (Hintergründe zum Untergang) der Gegenwart sprechen, aber die Zeichen standen definitiv schon mal besser für das Unternehmen.

Am Ende des Artikels habe ich noch ein bildhaftes Beispiel, dass meine Annahmen polarisierend visualisiert. Die Möglichkeiten der "Intelligenzebene" Adobe Sensei sind im Artikel nicht gemeint, weil ich Sensei mehr Prozess- und Optimierungstool sehe, nicht als kreatives Tool.


Ich beziehe mich bei meinen Überlegungen keineswegs auf Umsatzzahlen, Subscription-Zahlen oder sonstige Unternehmens KPI's, ich lasse einzig meine ganz alltäglichen Anwender Beobachtungen sprechen. In erster Linie aus Sicht der Video- und Bildbearbeitung.



Zunächst mal sei gesagt, dass Adobe für mich bis heute ganz eng mit kreativer Freiheit und Schöpfung verknüpft ist. Ich arbeite seit über 15 Jahren mit Adobe Produkten und kann mir ein Leben ohne das PS, AE oder PR im Dock eigentlich gar nicht vorstellen. Die Icons stehen dabei für viel mehr als reine Funktionalität. Auch wenn ich sie immer weniger aktiv selber nutze, die Gewissheit, dass sie da sind, gibt mir ein gutes Gefühl. Und ich hoffe sehr, dass dieses Gefühl auch in ferner Zukunft noch Bestand hat, aber ich habe so meine Zweifel.


Und die Zweifel habe ich deshalb, weil ich das Gefühl habe, dass Adobe zu lange an dem festgehalten hat, was ihnen über Jahrzehnte guten Umsatz beschert hat. Ein zuweilen starres Modell, welches einzig und alleine dem Motto folgt: Je mehr Produkte, desto mehr Umsatzmöglichkeiten. In Zeiten analoger und digitaler Trennung und strikten Gewerken war das ein nachvollziehbares Modell. Wieso dem Maler die Kreissäge in die Hand geben oder andersrum dem Tischler den Pinsel? Auf dem Bau hat sich an der Trennung dieser Zünfte in den letzten 20 Jahren nicht viel verändert.


Aber die Zeiten in der "Medienproduktion" und die Art des "Baumaterials" haben sich extrem geändert und ändern sich jeden Tag weiter. Und diese Veränderungen vertragen sich nicht mehr mit dem, was Adobe in ihrer viel zu breiten & getrennten Produktpalette anbietet. Adobe hat ordentlich Speck angesetzt und es sich in den letzten Jahren gemütlich gemacht. Die Produkte in die Cloud zu verlagern schien da Innovation genug zu sein.


Aber inzwischen wird die Konkurrenz von außen in allen Bereichen erdrückend groß. Und das größte Problem dabei ist, dass die Konkurrenz meist ein anderes Geschäftsmodell verfolgt als Adobe. Das Geld wird bei vielen an anderer Stelle verdient. Viele Modelle kosten zunächst gar kein Geld sondern erst dann, wenn der User die Standardfunktionen verlassen möchte. "Leider" sind durch technischen Fortschritt und Innovationen die Standards inzwischen aber ohnehin schon so hoch, dass dieser "Profi-Schein", der Adobe lange Zeit erstrahlen ließ, bereits sehr gedämmt ist.


Die Treiber dieser Zeitenwende sind selbstredend Social Media Plattformen, deren Treibstoff Content ist und die deshalb größtes Interesse daran haben, dass die Content Produktion für jeden einzelnen so einfach und professionell wie möglich ist. Deshalb investieren sie selber extrem in Innovationen der Contentproduktion. Gleichzeitig gibt es aber auch immer mehr erstzunehmende Drittanbieter, die ein Stück vom Content-Kuchen abhaben wollen und ebenfalls für Innovationen und niedrigere Einstiegshürden sorgen.


Influencer, Content Creator und Youtuber sind dabei die Hauptzielgruppe vieler nuer Player am Markt. Doch es verschiebt sich nicht nur die Zielgruppe, sondern durch auch das Produkt bzw. der Content, der am Ende rauskommt. Und dieser "neuartige" Content ist inzwischen so salonfähig, dass auch viele Marken und Unternehmen diesen Look & Feel in ihre Kommunikationsmittel übernehmen. Und spätestens damit sind viele bisherige Tools und Applikationen von Adobe für die Massenkommunikation nicht mehr notwendig, sie sind sogar fast störend, weil nicht sonderlich smart und eher sperrig in der Anwendung.


Die Konkurrenz hat das deutlich eher geblickt und entsprechend zeitgemäße Produkte auf den Markt gebracht. Produkte, die die Bedürfnisse dieses Klientel besser und einfacher bedienen, vor allem mit einer "Mobile/Smartphone First" Denke, so dass sich die wenigsten User noch lange mit der eigentlichen Software oder notwendiger Hardware beschäftigen wollen. Sie wollen einfach, schnell und intuitiv/smart zum Ergebnis kommen.


Neben der "Nische" Smartphone-User, fischt die Konkurrenz aber längst auch in anderen Stammgewässern von Adobe. Zum Beispiel Blackmagicdesign, die es geschafft haben, durch ihre "Youtuber First" Denke, alte und neue Filmer-Generationen auf ihre Seite zu bringen. Entweder erst durch ihre Kameras (Hardware) und dann durch den nahtlosen Software Zugang. Oder aber andersherum, durch kostenlose, professionelle Software, die die User dann auf die Hardware aufmerksam gemacht hat. Alles so zu Ende gedacht, dass jedes Level einen Zugang findet. Vom Einsteiger bis zum Profi. Für welches Produkt entscheidet sich die junge und damit zukunftsträchtige Zielgruppe wohl, für einen kostenlosen & dauerhaften Zugang mit perfekter Hardware Integration oder für einen 7 Tage-Software-Test? Die Antwort liegt auf der Hand.


Kostenloses DaVinci Resolve VS. Adobe Premiere Pro Testtage

Diese strategischen Fehler machen sich aber nicht nur im Geschäftsmodell bemerkbar, sondern auch ganz offensichtlich in der Qualität hinsichtlich innovativer Geschäftsfelder. Und wie das Ganze bildhaft aussehen kann, habe ich in einem kleinen Experiment selbst getestet.


Dazu habe ich die Neural-Filter aus Photoshop 2021 angeschaut und ausprobiert. Diese Filter, die aktuell noch in der Betaphase sind, sind die neuste Antwort auf das AI Zeitalter von Adobe.


Alleine der Umstand, dass die Neural-Filter bei Adobe aktuell noch in einer Probephase sind (und sich auch genauso anfühlen), während andere Unternehmen, egal ob Weltkonzern oder Startup, schon längst mit vergleichbaren Produkten / mobile Apps auf dem Markt sind, ist ein Armutszeugnis. Die Integration von AI bzw. maschinellem Lernen steckt bei Adobe offensichtlich noch komplett in den Kinderschuhen. Und das folgende Beispiel zeigt, dass es auch so aussieht.


Der Versuch, dem folgenden Ausgangsbild mit Hilfe der Neural-Filter ein wenig mehr Lächeln ins Gesicht zu zaubern und die Blickrichtung zu verändern, bringt Adobes (beta) AI offenbar schon an die Grenzen und ist damit noch weit von jeglicher Marktreife entfernt. Wer schon mal mit FaceApp, Snapseed & Co. gearbeitet hat, wird festgestellt haben, dass das Thema AI-Gesichtsbearbeitung nichts neues mehr ist und in vielen Anwendungsbeispielen sehr gut und einfach funktioniert.



Unbearbeitetes Ausgangsbild

In Adobe Photoshop 2021 ist man von einfacher und intuitiver Anwendung auf jeden Fall noch weit entfernt. Längere Wartezeiten durch Cloud-Bearbeitung und wenig intuitive Schieberegler machen das Erlebnis Neural-Filter hier aktuell noch zu einer Irrfahrt, die den Glauben an Innovation im Keim erstickt. Aber es ist ja noch die Betaphase ...


Eingabemaske der Neural-Filter

Der Vorher-Nachher-Vergleich soll, wie oben bereits erwähnt, keinen repräsentativen Charakter haben, aber vom Marktführer der Fotobearbeitung habe ich mir in 2021 doch deutlich mehr erwartet, auch in einer Betaphase.

Vorher VS. Nachher

Auch der Test anderer Filter, wie der "Stilübertragung", fühlen sich für mich aktuell noch wie ein Sprung in meine Photoshop Anfangszeit an, als die Mal- und Zeichenfilter State of the Art waren. Das Ergebnis war und ist nicht weniger oder mehr beeindruckend. Wie ein Fortschritt fühlt es sich jedenfalls nicht an.

Stilübertragung mit Neural-Filtern

Ich wünsche mir sehr, dass Adobe es schafft, den Abstand zur Konkurrenz schnell zu verringern und vor allem, dass sie ihr veraltetes Geschäftsmodell & Marketing so überdenken, dass es die Kreativen von morgen erreicht, um auch übermorgen noch bestehen zu können. Und, um in den Geschichtsbüchern nicht in einem Atemzug mit Kodak genannt werden zu müssen.


 

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